Counterintelligence

Ein Klimaforscher betreibt geheime Entwicklungen, um U-Boote aufzuspüren. Seit fast 40 Jahren ist er spurlos verschwunden.

Mit der veränderten Wahrnehmung Russlands als Aggressor gegen NATO und EU erfährt auch der militärische Seeraum und potentielle Kriegsschauplatz Ostsee wieder größere Aufmerksamkeit. Neu ist dieser Fokus nicht: schon vor mehr als sechzig Jahren wurden unter anderem sowjetische Unterwasseraktivitäten von westlichen Ostseeanrainern festgestellt.

Verändert hat sich seitdem der sicherheits- und militärgeographische Rahmen. Es gibt keine sowjetischen Baltenrepubliken mehr, keine Ostseeküste der DDR, Polen ist nicht mehr Volksrepublik, die UdSSR und der Warschauer Pakt sind aufgelöst. An ihre Stelle sind mit Estland, Lettland und Litauen, mit Polen sowie Finnland und Schweden sechs Mitglieder der NATO beigetreten. Kontrollierte die Sowjetunion einst den südlichen Ostseeraum von Leningrad bis hinter Wismar, sind Russland nur noch ein kleiner Korridor von Sankt Petersburg in den Finnischen Meerbusen und der wenig mehr als 100 Kilometer lange Küstenstreifen Kaliningrads verblieben.

Wie einst die Seekriegsflotte der UdSSR setzt das heutige Russland auf beständige Aufklärung in der Ostsee – auch mit Unterseefahrzeugen -, um so viele Erkenntnisse wie möglich über das gegnerische Territorium über wie unter und natürlich auf dem Wasser zu erhalten. Gleichsam bemühen sich die westlichen Staaten um Mittel und Methoden, diese militärische Aufklärung Moskaus festzustellen und abzuwehren.

In diesem Zusammenhang ist an ein fast vierzig Jahre altes Geheimnis zu erinnern, das mit der Ostsee, U-Booten und Forschungen zu ihrer Entdeckung zusammenhängt sowie mit einem außergewöhnlichen Wissenschaftler: Svante Oden.

Mit den 1980er Jahren gewannen Umweltthemen rasant an Bedeutung, es entstanden bzw. erstarkten ökopolitische Bewegungen. Wissenschaftler hatten sich da schon lange schädlicher Einflüsse auf die Umwelt angenommen. Zu ihnen gehörte der Schwede Svante Oden, seit bereits 1971 Lehrstuhlinhaber für Bodenkunde und Umweltchemie an der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften. Der Professor aus Uppsala war ein international geschätzter Experte für den Zusammenhang von Giftstoffen in Niederschlägen für Böden und Gewässer: als „saurer Regen“ wurde das Phänomen allgemein bekannt, die Medien berichteten bildreich von Wald- und Fischsterben.

Von Zeit zu Zeit gelangten auch Berichte über U-Boote in schwedischen Gewässern in die damaligen Tagesmedien. Schlagzeilen machte das sowjetische S-363. Ende Oktober 1981 lief es in der Nähe des Militärstützpunktes Karlskrona gegen einen Felsen, musste schließlich auftauchen und kam mit Hilfe der schwedischen Marine frei.

In fast jedem folgenden Jahr, und damit auch unter dem neuen KPdSU-Generalsekretär Michail S. Gorbatschow, stellte Schweden Unterwasseraktivitäten innerhalb seiner Küstenzone fest. Das seiner Neutralitätspolitik verpflichtete Land reagierte mit dem erhöhten Einsatz von Überwachung, Sensorik und explosiven Sicherungsmaßnahmen: mehrfach lösten die Wasserbomben und Seeminen aus. Wer da in Gebieten mit oftmals schwierigen Tiefenverhältnissen unterwegs war, ist bis heute nur bedingt bekannt.

Im Frühjahr 1986 wurde von Gotland aus ein unidentifiziertes Seefahrzeug beim Abtauchen beobachtet. Besonders interessant erschienen Spuren, die auf ein ‚Mini-Sub‘ mit Raupenantrieb hinzudeuten schienen. Es wurden Fotos veröffentlicht, die von Tauchern der schwedischen Marine gefertigt worden sein und panzerkettenähnliche Spuren über eine Länge von mehr als einem Kilometer auf dem Meeresgrund zeigen sollen. Kurz zuvor sollen solche Spuren auch in japanischen Gewässern festgestellt worden sein. Sie sollten von „mindestens sechs sowjetischen U-Booten“ stammen.

Veröffentlichungen des sowjetischen Überläufers Wladimir B. Resun lenkten seinerzeit die Aufmerksamkeit auf Spezialtruppen des militärischen Aufklärungsdienstes der Roten bzw. Sowjetarmee GRU. Diesen traute Schweden schwere Sabotage und die „Ausschaltung unserer Hauptverteidigungs- Einrichtungen“ zu. Der GRU-Zweig in der Baltischen Ostseeflotte sei darauf vorbereitet, eine ‚Spetsnaz-

Brigade einzusetzen, die zur Aufgabe hat, im Blitztempo die politische und militärische Führung Schwedens zu beseitigen.“

Kaum bekannt war, dass zu jener Zeit Professor Svante Oden neben seinen ökologisch-chemischen Forschungen auch anderen Phänomenen nachging. Er entwickelte Geräte, mit denen Unterwasserfahrzeuge aufgespürt – und in der Folge gegebenenfalls abgewehrt oder sogar bekämpft – werden konnten. Er soll davon ausgegangen sein, dass spezielle Sensoren feinste Wasserbewegungen, die U-Boote auslösen, feststellen könnten. Diese sollten dann akustisch und/oder graphisch dargestellt werden, auf einem Monitor und/oder Drucker.

Es ist nicht eindeutig, ob er diese Forschungen für sich oder im Auftrag – von, ja wem? – betrieb. Es gibt Hinweise auf Verbindungen zur schwedischen Marine. Sie soll Oden Messinstrumente zur Verfügung gestellt haben.

Die üblichen Verdächtigen dürfen hier natürlich nicht fehlen.

So sollen US-amerikanische Stellen von Odens Projekten gewusst haben. Im CIA-Archiv lassen sich immerhin Erfassungen zu zwei Fachaufsätzen des Schweden zu Übersäuerungen skandinavischer Gewässer (1970) und der Atmosphäre (1971) nachweisen, mit dem Hinweis, sie seien beim National Marine Fisheries Service (NMFS) verfügbar und man habe den „Original Article Checked“.

Oden sei auch „irgendwann nach Russland eingeladen“ worden, wird eine Erinnerung seiner Schwester wiedergegeben. Die Einladung habe ihn verunsichert. Er habe sogar befürchtet, bei Testfahrten auf See „vom ‚Osten‘ entführt“ zu werden. Das soll er gegenüber einem Freund noch am Morgen des 29. Juli geäußert haben.

Praxistests führte Oden tatsächlich seit spätestens 1986 durch. Dafür fuhr er mit seinem etwa zehn Meter langen Boot in die Schären nordöstlich von Stockholm, in die Alandssee mit unzähligen kleinen Inseln.
So auch am Abend des 29. Juli 1986 bei angenehmen Sommertemperaturen und ruhiger See. Gegen Mitternacht soll das Boot mit mindestens einer Person in einer Bucht des Eilands Understen noch von einem Mitglied einer Leuchtturmbesatzung gesehen worden sein; bei einer Entfernung von über vier Kilometern kann aber wohl nur angenommen, dass es Oden erkannt zweifelsfrei hat. Bewiesen ist das bis heute ebensowenig wie die mögliche An- oder Abwesenheit weiterer Personen an Bord.

Fest steht allerdings – seit jener Nacht von Dienstag auf Mittwoch fehlt von Svante Oden jede Spur. Von seinen Entwicklungen, Geräten und Aufzeichnungen auch. Laut seiner Schwester bewahrte Svante Oden seine Papiere immer in einer schwarzen Aktentasche auf. Auch sie ist verschwunden. Was genau er überhaupt mit an Bord genommen hatte, ist unklar.

Aussagen über Odens Aktivitäten in den Tagen vor jener Nacht legen nahe, dass er Unterlagen und verschiedene Geräte dabei hatte und Tests durchführen wollte. Sein Drucker „Hitachi 561 Recorder Typ 242561/3006, Seriennummer 111439“ tauchte seither jedenfalls nur noch einmal auf: im Polizeibericht, als vermisster Gegenstand; die schwarze Aktentasche ebenso. Keine Spur von Modellgeräten, Messinstrumenten oder anderem Forschungsmaterial.

Gefunden wurde Odens Boot kurz nach Mitternacht am 1. August. Um die Schraube hatte sich ein Fischernetz gewickelt. War Svante Oden bei dem Versuch, es zu entfernen, schlichtweg ertrunken, sein Verschwinden mithin ein Unfall?

Es fand medial zunächst wenig Beachtung. Als allerdings Monate später Svenska Dagbladet vom Verschwinden des renommierte Klimaforschers, wie Oden heute wohl bezeichnet würde, berichtete und dass er „streng geheime“ Entwicklungen zur U-Boot-Aufklärung betrieben habe, griff sogar die Los Angeles Times den Vorgang auf. Kurz zuvor war auch noch eine Abhöraktion gegen die schwedische Botschaft in Moskau zum Politikum geworden.

Währenddessen liefen polizeiliche Ermittlungen. Sie wurden nach einigen Monaten als ein Routinefall missing at sea eingestellt, wie er in der Ostsee häufiger vorkommt. Und für den es nicht ungewöhnlich ist, wenn keine Leiche (oder Leichenteile) gefunden werden.

Warum aber soll dann Familie und Bekannten Odens behördlicherseits nahe gelegt worden sein, nicht weiter über die Sache zu sprechen? Gab es Ermittlungen zu den Personen, die mit Oden am Nachmittag

des 29. Juli, vielleicht auch noch am Abend zusammen und eventuell sogar mit an Bord gewesen sein könnten? Was war mit Odens vermeintlichen Befürchtungen, ihn in den Ostblock zu entführen. Könnte damit sein Verschwinden und das seiner Aufzeichnungen und Geräte erklärt werden?

Oder sollte Svante Oden in größere Szenarien eingeordnet werden? Zum Beispiel der Serie von Todesfällen britischer Wissenschaftler, die im Rahmen der Strategic Defense Initiative an Weiterentwicklungen des Unterwassertorpedos Sting Ray beteiligt waren?

Infrage kämen auch die Freitodthese oder sogar operative Kombinationen. Da entstünden Erinnerungen an John A. Paisley: acht Jahre vor Svante Oden verschwand der hochrangige CIA-Offizier von seinem Boot mitten in der Chesapeake Bay.

Wie in diesen und ähnlichen Vorgängen stehen eigentlich nur fest: ein Geheimnisträger ist verschwunden und bis heute weiss wohl kaum jemand um die Hintergründe.

Ganz vergessen ist Svante Oden aber nicht. 2015 erschien der dokumentarische Roman Under Water von Andres V. Jallai. Der für Bücher über Spionage und Militär bekannte schwedischen Autor hatte intensiv in Archiven und im persönlichen Umfeld Odens recherchiert. Auf seine Homepage mit zahlreichern Dokumente und Bildern sei ebenso hingewiesen wie auf die von Marco Rautenberg. Hier erschien 2020 sein sehr informativer Beitrag Der Fall Svante Odén – Unfall, Selbstmord oder Opfer im Kalten Krieg?

Dr. Bodo Wegmann
Fachreferent für Sicherheitspolitik und geheime Nachrichtendienste, Mitglied im Vorstand des Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland e. V. (GKND) und Autor zu unter anderem dem Militärischen Nachrichtendienst der DDR (MilND).