Counterintelligence

Spionageabwehr in Deutschland ist zwar ein recht zahnloser Tiger („Wir müssen erst ein Kotrollgremium um Erlaubnis bitten!“), aber jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, eventuell reiche Ernte einzufahren. Dafür sprechen zwei Entwicklungen, die erstens absehbar waren und die man zweitens als Chance und nicht als Untergang begreifen sollte.

  1. Derzeit bildet sich ein Pool an unzufriedenen und verärgerten, zum Teil verzweifelten ehemaligen Mitarbeitern US-amerikanischer Sicherheitsbehörden, insbesondere aus dem Bereich der Geheimdienste.
  2. Aktuell beenden die USA nicht nur die Militärhilfe, sondern auch den Austausch, besser gesagt: die Lieferung von geheimdienstlichen Informationen an die Ukraine.

Nun empört man sich in Deutschland, dass die bösen Chinesen – und andere – diese Chance ergreifen und versuchen, ehemalige oder noch im Dienst befindliche US-Bürger zu rekrutieren. Selbstverständlich war das zu erwarten und im übrigen eine kluge Maßnahme. Nur sollte man das  diesen Staaten möglichst erschweren und stattdessen selbst diesen Schritt gehen! 

Spionageabwehr muss proaktiv sein – und Deutschland sollte sich so verhalten. Zum einen ist es vermutlich besser, wenn ein Mitarbeiter der CIA von Deutschland und nicht von China rekrutiert wird. Zum anderen machen es die Amerikaner ebenso in Europa und Deutschland. Man sollte also durchaus selbstbewusster auftreten und sich jetzt eine umfassende Aufstellung des Personals aller US-amerikanischen, staatlichen und semi-staatlichen Einrichtungen in Deutschland an die Wand heften. Man sollte sich ebenfalls das ehemals in Staatsdiensten tätige Personal von einzelnen, in Deutschland vertretenen US-Firmen anschauen. Ziel muss sein, ohne weitere Skrupel genau dort belastbare Kontakte zu knüpfen, wo es jetzt am günstigsten sein sollte! Und vermutlich würde die Zeit den deutschen Geheimdiensten in die Hand spielen, denn nach allem, was ich aus den USA höre, wird der Frust größer und größer. Das Zeitfenster ist also jetzt weit geöffnet.

Und ebenso könnte man sich nun gegenüber der Ukraine in Sachen geheimdienstlicher Kooperation generös zeigen – und zwar weitaus stärker, als es bisher geschehen ist. Es klingt natürlich kalt und hart, aber man muss das leider emotionslos betrachten: Unabhängig von den weiteren Entwicklungen in der Ukraine wäre jetzt, im Moment großer Verzweiflung, eine günstige Gelegenheit, sich Informationskanäle zu schaffen, die auch in Zeiten russischer Besatzung Bestand hätten. 

Warum wird das alles leider nicht stattfinden? Die Antwort ist einfach: Es würde Mut zum Risiko  sowie finanzielle und personelle Ressourcen verlangen. Und es müsste im Handumdrehen, jetzt sofort gestartet werden. Das alles widerspricht jedoch dem deutschen Habitus. Es wäre eine ebenso unlösbare Aufgabe für die EU, ein gemeinsames Konzept a) zügig zu erarbeiten und b) ebenso zügig zu realisieren. Zudem man ohne London sowieso relativ dürftig dastehen würde. 

Insofern muss sich Deutschland darauf einstellen, dass einer der nächsten Schritte der US Regierung sein wird, den geheimdienstlichen Austausch mit Deutschland nicht unbedingt zu beenden, aber erheblich einzuschränken. Und dann darf man gespannt sein, wie die deutsche Sicherheits- und Bedenkenträgerbürokratie reagieren wird. Vielleicht wird man sich dann zu jenem Schritt entschließen, den der verstorbene Wolfgang Schäuble vor langer Zeit ins Spiel gebracht hatte: Die Auflösung bestimmter Strukturen deutscher Geheimdienste und ihre Übernahme durch die Bundeszentrale für politische Bildung. Das wäre vielleicht ein ehrlicher Schritt. Man muss einkalkulieren, dass die USA sogar soweit gehen werden, Informationen zu künftigen Terroranschlägen zurück zu halten, um damit ihren nicht ganz unbegründeten Vorwurf zu untermauern, dass Deutschland auch in diesem Bereich selbstverschuldet blind ist und hoffnungslos politisiert („werteorientiert“) vorgeht.

Dabei könnte alles mit relativ wenig Aufwand gestartet werden, denn in Deutschland wimmelt es nur so von interessanten Personen und auch Einrichtungen oder Organisationen aus den beiden genannten Staaten. Die Trauben hängen so niedrig wie nie zuvor. Jedoch ist Vorsicht geboten: „Spione und Jäger müssen eines können: ihre Opfer verfolgen, ohne wahrgenommen zu werden. Schlau wie ein Fuchs müssen sie dabei ihre Taktik ändern, sobald das Wild eine andere Richtung als erwartet einschlägt.“

Dieses Zitat stammt aus einer nach langem Rechtsstreit mit dem BND herausgegebenen Anleitung für die geheimdienstliche Arbeit aus dem Jahre 1978, aus der ich ausgesprochen gerne zitiere: